Einführung Außenhandel

Lohnender Tausch

David Ricardo: "Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und Besteuerung"

David Ricardo war der bekannteste Spekulant seiner Zeit und schon in jungen Jahren an der Börse reich geworden. Aber mit der Theorie tat er sich eher schwer. Nur unter ständigen Ermunterungen seines Freundes, des Sozialphilosophen James Mill, brachte er sein Hauptwerk Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung zu Papier. Seine Sorge, es gäbe "wohl keine 25 Leser in Großbritannien, die das Buch verstehen", war indessen unbegründet. Das 1817 erschienene Werk verkaufte sich gut. Seine Argumente zum Wert von Gütern, seine Ideen zur Einkommensverteilung zwischen Arbeitern, Kapitaleignern und Grundeigentümern haben zahlreiche Wirtschaftsdenker nach ihm beeinflußt. Seine Theorie des Außenhandels bestimmt bis heute die Freihandelsdebatte.

Mit seinen Gedanken zum Außenhandel focht David Ricardo (1772 bis 1823) gegen den Geist seiner Zeit. Während sein Heimatland die eigene Wirtschaft mit Zollmauern schützte, propagierte er den freien Handel. Er begründete dies mit seinem Theorem der "komparativen Kostenvorteile". Zentrales Argument: Der Warenaustausch zwischen zwei Ländern lohnt sich für beide selbst dann, wenn ein Land alle Güter günstiger herstellen kann als das andere.

Die Portugiesen sind jedoch im Vergleich zu den Engländern bei der Weinerzeugung noch deutlich produktiver als bei der Tuchherstellung - deshalb liegt der komparative Kostenvorteil Portugals bei Wein. Für das Land lohnt es sich daher, sich auf die Weinerzeugung zu konzentrieren und das Tuch nicht mehr selbst zu weben, sondern im Handel mit England gegen Wein einzutauschen - denn die Portugiesen brauchen weniger Arbeit, die für den Export benötigte Menge Wein zu erzeugen, als sie einsetzen müßten, wenn sie das Tuch für den Eigenbedarf selbst fertigten. Spiegelbildlich haben die Engländer einen komparativen Kostenvorteil bei Tuchen: Ihr Arbeitseinsatz, das für den Tausch benötigte Tuch herzustellen, ist geringer als beim Anbau eigenen Weins. Die eingesparten Arbeitskräfte kann England dann profitabler in anderen Industriezweigen einsetzen. Ricardos Fazit: Wenn sich jedes Land auf das Produkt konzentriert, das es, relativ gesehen, billiger produzieren kann, wächst in beiden Ländern der Wohlstand.

Bei aller Theorie blieb Ricardo dennoch Geschäftsmann und wußte, daß sich Kaufleute nicht um so etwas Abstraktes wie komparative Kosten kümmern. Für sie zählen allein die Preise. Aber auch dann hält er seine Theorie für zutreffend, wie er wiederum am Beispiel Englands und Portugals erklärt: Englische Kaufleute neigen sehr wahrscheinlich dazu, auch Tuche aus Portugal zu importieren, wenn sie dort preiswerter sind als in England. Damit bringen sie jedoch gleichzeitig Geld nach Portugal. Die höhere Geldmenge führt dort zu Inflation, also zu höheren Preisen, während die englischen Preise wegen der abnehmenden Geldmenge fallen. Diese Geldströme dauern so lange an, bis es wieder vorteilhaft ist, Stoffe von England nach Portugal zu exportieren. Mit einiger Verzögerung bestimmen also auch in diesem Fall die komparativen Kostenvorteile den Warenaustausch.

Ricardos Theorie bildete die Basis für die Diskussion über Freihandel und Schutzzölle, die das 19. Jahrhundert beherrschte und die in England 1846 in der Abschaffung des Getreidezolls gipfelte. Seine Ideen hatten Bestand und finden sich in der aktuellen Debatte über die weitere Liberalisierung des Welthandels wieder. Und David Ricardo schmückt heute sogar die Website der Welthandelsorganisation WTO.

Doch Ricardo befaßte sich in seinen "Grundsätzen" nicht nur mit dem internationalen Handel. Auf der Suche nach Maßstäben für die objektive Bewertung von Gütern übernahm Ricardo von Adam Smith die Einteilung in Gebrauchs- und Tauschwert. Seine Theorie: Der Wert eines Gutes wird allein davon bestimmt, wieviel Arbeit zu seiner Produktion notwendig ist. (Raritäten oder Sammlerstücke vernachlässigte er bewußt.)

Zur Erläuterung seiner Arbeitswertlehre bediente er sich eines Beispiels von Adam Smith: In einer primitiven Gesellschaft dauert die Jagd eines Bibers doppelt so lange wie die eines Hirsches. Also ist der Biber doppelt soviel wert wie ein Hirsch. Ricardo erweiterte dieses simple Modell, indem er die Zeit berücksichtigte, die zur Herstellung der Jagdwaffen notwendig war, und auch den Verbrauch der Waffen/Werkzeuge in seine Berechnungen einbezog. Je mehr Tiere (Güter) mit einer Waffe (Maschine) erlegt (hergestellt) werden können, um so geringer ist der Wertanteil der Waffe/Maschine pro Tier (Stück). Damit nahm Ricardo eine entscheidende Kostenüberlegung der industriellen Massenproduktion vorweg.

Schon die mit Ricardo befreundeten Nationalökonomen Jean Baptiste Say und Thomas Robert Malthus lehnten Ricardos Werttheorie ab. Der Franzose Say betonte die Bedeutung des Gebrauchswerts für die Preisbildung, der Engländer Malthus hielt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage für entscheidend. Karl Marx indessen griff Ricardos Thesen zur Entwicklung seiner Mehrwerttheorie auf, wonach weder Boden noch Kapital, sondern allein die menschliche Arbeitskraft zusätzlichen Wert schafft. Die Nutzung von Grund und Boden ist im Denken Ricardos ohne Einfluß auf den Wert von Gütern. Die Grundeigentümer können überhaupt nur eine "Grundrente" kassieren, weil es unterschiedliche Bodenqualitäten gibt. Er erklärt dies beispielhaft an einer Urgesellschaft: Solange ausreichend gute Böden zur Verfügung stehen, um die Gesellschaft mit Nahrung zu versorgen, wird keine Grundrente gezahlt. Wächst die Bevölkerung, müssen zunehmend schlechtere Böden kultiviert werden, die höheren Arbeitseinsatz erfordern; das macht die Produkte teurer. Die Besitzer fruchtbarer Böden passen ihre Preise an und schöpfen damit den Wert des bei ihnen nicht erforderlichen zusätzlichen Arbeitseinsatzes als Grundrente ab.

Spätere Ökonomengenerationen kreideten Ricardo dessen Thesen zur Höhe des Arbeitslohnes an, weil er die Armut der Arbeiter für geradezu naturgegeben erklärte: Die Preise der Nahrungsmittel bestimmen in seinem Modell den Lohn. Das "natürliche" Lohnniveau entspricht dem Existenzminimum, das die Arbeitsbevölkerung braucht, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Wenn die Bevölkerung mehr als das Notwendigste zum Leben hat, vermehrt sie sich, das Angebot an Arbeitskräften steigt, das Lohnniveau sinkt. Fällt es unter das Existenzminimum, dezimieren Hunger und Seuchen das Arbeitskräfteangebot, die Löhne steigen wieder.

In Ricardos Verteilungssystem schneiden die Grundeigentümer auf Dauer am besten ab. Bei wachsender Bevölkerung müssen immer schlechtere Böden kultiviert werden. Die Lebensmittelpreise steigen, und mit ihnen steigt die Grundrente. Die Kapitaleigner dagegen müssen höhere Nennlöhne zahlen und damit einen größeren Teil des volkswirtschaftlichen Ertrages abgeben. Die Arbeiter gewinnen jedoch nichts, denn real können sie sich nicht mehr kaufen als vorher. Für sich selbst hatte Ricardo schon die Konsequenz gezogen, bevor er sein Werk über die "Grundsätze" veröffentlicht wurde. Er verkaufte seine Wertpapiere und erwarb ein Landgut in Gloucestershire.

Quelle: (c) DIE ZEIT 1999 , http://www.zeit.de/1999/23/199923.biblio-serie_4_.xml

Von Ruprecht Hammerschmidt | Katharina

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