Außenwirtschaft

Außenwirtschaftstheorie

Zum Thema Außenwirtschaft gleich zu Beginn eine grundsätzliche Frage: Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Außenwirtschaft und Binnenwirtschaft?
Dazu muss man zunächst festhalten, dass sich die Mechanismen, nach denen sich das Wirtschaftsgeschehen innerhalb einer Volkswirtschaft vollzieht, nicht grundsätzlich von denen unterscheiden, die für das Wirtschaftsgeschehen zwischen den nationalen Volkswirtschaften gelten. Die grundlegende Erkenntnis ist, dass der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den Volkswirtschaften deren Wohlstand erhöht.
Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Erstens gibt es in anderen Volkswirtschaften Güter, die es bei uns nicht gibt, die aber benötigt werden. Beispielsweise Rohstoffe wie Öl oder exotische Früchte. Diese Art des Außenhandels wird als komplementärer, d.h. sich ergänzender Außenhandel  bezeichnet, denn er erweitert das Güterangebot in einer Volkswirtschaft.

Der Außenhandel erhöht die Produktvielfalt, und die Konsumenten haben mehr Wahlmöglichkeiten. Sie können dann das kaufen, was ihren Präferenzen am besten entspricht.
Hinzu kommt, dass gleichartige Produkte im Ausland unter Umständen kostengünstiger hergestellt und bei uns preisgünstiger angeboten werden als die heimischen Erzeugnisse. Man muss dabei nur mal an Steinkohle oder Textilien denken. Man spricht dann von einem absoluten Kostenvorteil. Das heißt, wenn etwas importiert wird, dann muss  man unter Umständen weniger Geld für das gleiche Produkt bezahlen und dadurch steigt unser Realeinkommen.
Außenhandel zwischen zwei Volkswirtschaften kann aber auch dann entstehen, wenn in einem Land alle Güter teurer sind als im anderen.
Das wird dann möglich, wenn sich eines der beiden Länder auf die Produktion desjenigen Gutes konzentriert, das es relativ billiger herstellen kann. So kommt es zur Spezialisierung und zum gegenseitigen Austausch von Waren, der es beiden Ländern ermöglicht, ihre Produktionsfaktoren optimal einzusetzen. Sie schaffen so  eine Gütervielfalt, die  sie ohne Außenhandel nicht erreichen könnten. So tauscht z.B. Indonesien Edelholz mit Japan gegen Autos.
Diesen Sachverhalt findet man auch in der einschlägigen Fachliteratur unter dem Begriff "Theorem der komparativen Kosten" wieder. Jedes Land konzentriert sich auf die Herstellung eines Gutes, das es dann in das jeweils andere Land exportiert. Das ist das Prinzip der Spezialisierung und internationalen Arbeitsteilung.

Aber: gerade in Deutschland wird häufig beklagt, dass zu teuer produziert wird und deshalb die Exportmöglichkeiten eingeschränkt  sind. Da scheint einem das "Theorem von den komparativen Kosten" doch wirklich sehr abstrakt. In der Praxis bringt es uns zunächst nicht viel, aber es vermittelt uns grundlegende Erkenntnisse. Zum Beispiel die, dass Außenhandel keine Einbahnstraße sein kann und dass Außenhandel für alle daran beteiligten Volkswirtschaften vorteilhaft sein muss. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den Rahmenbedingungen dieses Modells.  Solche Rahmenbedingungen sind zum Beispiel, dass die Vorteile des Außenhandels durch Spezialisierung und internationale Arbeitsteilung dann am besten zur Geltung kommen, wenn der Außenhandel frei von jeder Art von Beschränkungen ist.
Das können zum Beispiel Marktunvollkommenheiten wie hohe Transportkosten oder die Unbeweglichkeit von Produktionsfaktoren sein. Es können aber auch administrative Beschränkungen wie Zölle oder nicht-tarifäre Handelshemmnisse sein.

Deutschland ist neben den USA und Japan eine der bedeutendsten Volkswirtschaften im Welthandel.
Aber wer sind eigentlich unsere wichtigsten Außenhandelspartner und welche Art des Außenhandels betreibt speziell Deutschland überwiegend? 

Obwohl wir ein rohstoffarmes Land sind ist es nicht so, dass wir Rohstoffe gegen industrielle Fertigwaren tauschen.
Wir betreiben also nicht in erster Linie komplementären Außenhandel, sondern der Export und Import betrifft gleichermaßen zu etwa 75 v.H. industrielle Fertigwaren. Daher sprechen wir vom substitutiven Außenhandel, denn es werden überwiegend gleichartige Produkte getauscht. Rohstoffe haben bei unseren Handelsbeziehungen nur einen Anteil von kaum mehr als 10 v.H. an den Importen.
Unsere wichtigsten Handelspartner sind Industrieländer.
Nur 10 v.H. der Exporte werden in Entwicklungsländer geliefert. Und auch von den Importen stammen nur etwa 10 v.H. aus Entwicklungsländern.
Mehr als die Hälfte des Außenhandels bestreitet Deutschland mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Die benachbarten Niederlande mit knapp 16 Millionen Einwohnern sind einer unserer bedeutendsten Handelspartner. Die Volksrepublik China mit weit über 1 Milliarde Menschen rangiert dagegen unter ferner liefen.

Die Ausfuhr von Waren beläuft sich dabei auf etwa 500 Mrd. € pro Jahr, der Wert der Wareneinfuhr beträgt rund 450 Mrd. €. Wir haben also einen beachtlichen Exportüberschuss und das verträgt sich kaum mit der vorherigen Aussage, dass der Außenhandel keine Einbahnstraße sein soll. Doch muss man dabei bedenken: Bislang wurde nur der Warenverkehr angeschaut. Das ist sicher ein wichtiger Bereich unseres Außenhandels. Man darf jedoch nicht übersehen, dass auch Dienstleistungen exportiert und importiert werden.
Das klassische Beispiel ist hier der Reiseverkehr. Wenn Inländer Urlaub im Ausland machen, sei es zum Vergnügen auf Mallorca oder als Bildungsreise zu den Pyramiden am Nil, dann ist es ein Dienstleistungsimport. Wenn umgekehrt Ausländer das Oktoberfest in München besuchen, dann haben wir es mit einem Dienstleistungsexport zu tun.

Hier kommt es aber nicht auf die Zahl der Touristen an, sondern darauf, wie viel Geld sie auf ihren Reisen ausgeben. Und derzeit ist es so, dass die deutschen Touristen im Ausland rund 30 Milliarden € mehr ausgeben als die ausländischen Touristen in Deutschland.

Neben dem Waren- und Dienstleistungsverkehr gibt es noch weitere Bereiche, in denen Defizite auftreten können.
Schaut man sich z.B. die Übertragungsbilanz von Zahlungen ins Ausland an, so ist diese zumeist negativ.
Unter die Übertragungsbilanz fallen Zahlungen von in Deutschland ansässigen Ausländern an ihre im Ausland beheimateten Familien und die Beiträge Deutschlands zu internationalen Organisationen. Allein der Nettobeitrag zum EU-Haushalt beträgt mehr als 10 Mrd. €.

Dadurch ist der Exportüberschuss aus dem Warenverkehr schon fast aufgezehrt.
Und dabei wurde der grenzüberschreitende Kapitalverkehr, dessen Bedeutung stark
zunimmt, noch nicht berücksichtigt. Darunter versteht man beispielsweise internationale Wertpapiergeschäfte und Direktinvestitionen.
Die Direktinvestitionen sagen etwas aus über das unternehmerische Engagement deutscher Firmen im Ausland bzw. ausländischer Firmen in Deutschland. Hier verzeichnen wir ein Defizit von etwa 45 Mrd. €.
Das kann ein Indiz dafür sein, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht besonders attraktiv ist.
Um das aber wirklich stichhaltig beurteilen zu können, müsste man noch  weitergehende Analysen anstellen und vor allem die Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten.

Alle wirtschaftlichen Aktivitäten Deutschlands werden in der Leistungsbilanz und der Kapitalbilanz erfasst. Beides zusammen ergibt die Zahlungsbilanz, aus der man ersehen kann, ob unsere Volkswirtschaft für ein bestimmtes Jahr Nettozahlungen an das Ausland vorgenommen oder vom Ausland empfangen hat.

Für unsere Volkswirtschaft kann es aber nicht nur erstrebenswert sein, möglichst viele Zahlungen aus dem Ausland zu empfangen, also im Warenverkehr hohe Überschüsse zu erzielen und die Defizite im Dienstleistungsverkehr abzubauen, denn Außenwirtschaft ist ein Geben und Nehmen. Deshalb ist ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht erstrebenswert, dass sich also die empfangenen und die geleisteten Zahlungen im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr auf lange Sicht ausgleichen.
Dabei ist die Vorstellung von einem Gleichgewicht auch nur so eine Art gedankliche Orientierungshilfe, so etwas wie ein Leuchtturm, der bei stürmischer See die Richtung weist. Denn wirtschaftliche Entwicklung ist ja ein ständiger Prozess, etwas Dynamisches, also eine Kette von Ungleichgewichten.

Wenn man nun den Kurs auf „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ hält, bringt das auch einen konkreten, ablesbaren Nutzen, denn wenn dauerhafte Abweichungen von diesem Kurs vorliegen, die zudem immer größer werden, lassen sich Fehlentwicklungen schon prognostizieren.
Ein nachhaltiger Zahlungsbilanzüberschuss zum Beispiel wird dazu führen, dass die heimische Währung stärker nachgefragt wird als ausländische Währungen. Es kommt dann zur Aufwertung der heimischen Währung. Und das heißt: Sie wird teurer. Das beeinträchtigt die Exporte und begünstigt die Importe.
Es ist deshalb empfehlenswert, den Kurs immer automatisch auf "außenwirtschaftliches Gleichgewicht" zu halten soweit das möglich ist. Bei einem weitestgehend freien internationalen Waren- und Kapitalverkehr ist das allerdings recht schwierig.

Innerhalb der EU ist das zwar ein wenig überschaubarer, aber dennoch eine heikle Angelegenheit. Einerseits locken eine Menge Vergünstigungen, andererseits entstehen natürlich auch riskante Abhängigkeiten –gerade für mittelständische  Unternehmen und für die betroffenen Länder geht’s dann insgesamt vielleicht auch ganz schön auf und ab. Man muss selbstverständlich die Leitzinsentwicklung aufmerksam verfolgen. Eine Volkswirtschaft wird durch die Außenwirtschaft natürlich von anderen Volkswirtschaften abhängig und natürlich resultieren daraus sowohl positive wie auch negative Folgewirkungen.

Da kommt leicht die Frage auf, ob sich eine Volkswirtschaft nicht gegen solche
negativen Folgewirkungen irgendwie schützen kann.
Dieses Thema hat eine lange Tradition und wurde in einer vorausgegangenen Folge schon ausführlich besprochen. An dieser Stelle noch mal kurz zur Erinnerung: Der Merkantilismus zu Zeiten Ludwig des XIV war so ein Konzept, durch staatliche Eingriffe die Exporte zu fördern und gleichzeitig die Importe zu behindern. Die Überschüsse im Außenhandel dienten damals zur Finanzierung der königlichen Hofhaltung.
Aber nicht nur im Absolutismus, auch während der Industrialisierung im 19.Jahrhundert haben sich konservative Volkswirtschaften vor dem Konkurrenzdruck gegenüber fortschrittlichen Ländern zu schützen versucht. Friedrich List hat in dieser Zeit den Begriff "Erziehungszoll" geprägt. Er sollte einer Volkswirtschaft im Schutz des Zolls Gelegenheit geben, einen Rückstand im internationalen Wettbewerb aufzuholen.
Theoretisch ein vernünftiger Gedanke, aber die praktischen Erfahrungen sind nicht sehr überzeugend, denn es bedarf einer starken politischen Führung, um genügenden Anpassungsdruck zu erzeugen, damit die "Erziehung" auch wirklich gelingt und die Schutzfunktion des Zolls nach gewisser Zeit entbehrlich wird.

Politisch gesehen hat die politische Führung zwar den Auftrag, die eigene Volkswirtschaft vor den negativen Auswirkungen grenzüberschreitender Wirtschaftsbeziehungen zu bewahren, aber ökonomisch eher nicht. Denn die Begünstigung der eigenen Volkswirtschaft zu Lasten der Handelspartner ist ja nichts anderes als ein internationaler Verteilungskampf um den wirtschaftlichen Wohlstand. Dabei stehen sich die Marktteilnehmer feindselig und nicht partnerschaftlich gegenüber. Ein Prinzip marktwirtschaftlicher Denkweise.
Allerdings führen Beschränkungen bei den grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen, ob sie nun gezielt zu Lasten Dritter vorgenommen werden oder nicht, immer zu Einbußen beim gesamtwirtschaftlichen Wohlstand; in der eigenen Volkswirtschaft wie auch im Ausland. Deshalb wäre abzuwägen, ob die Vorteile, die durch Handelsbeschränkungen erzielt werden können, höher oder geringer zu bewerten sind als die mit ihnen einhergehenden Wohlfahrtsverluste.
Weil das aber ziemlich schwierig vorauszusehen ist, wurden über lange Zeit in vielen Volkswirtschaften außenwirtschaftliche Beschränkungen im Außenwirtschaftsverkehr durch Zölle, Kontingente und sonstige nicht-tarifäre Maßnahmen vorgenommen, nach dem Motto: das Hemd ist mir näher als der Rock.

Wie lange das so ging, lässt sich nicht genau datieren. Es gibt aber zwei Ereignisse, von denen vermutlich wesentliche Impulse zur Hinwendung des Abbaus von Handelsbeschränkungen ausgegangen sind und zugleich eine grundsätzliche Abkehr dominierend protektionistischer Außenwirtschaftspolitik eingeleitet wurde:
· Das eine war das Abkommen von Bretton Woods aus dem Jahre 1944, das bis Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Weltwährungsordnung geprägt hat. 
· Das zweite ist das Welthandelsabkommen GATT - das "General Agreement on Trade and Tariffs" von 1947.
Die Weltwährungsordnung von Bretton Woods umfasste eine Vielzahl von Regelungen, die das Vertrauen der Wirtschaft in die Stabilität des internationalen Kapitalverkehrs deutlich erhöhte. Dazu gehörte vor allem die Einführung fester Wechselkurse.
Nun konnten Unternehmen, die Außenhandel in fremder Währung unterhielten, den Wert dieser Währungen sicher kalkulieren. Das minderte die ohnehin höheren Geschäftsrisiken und trug so zu einer beispiellosen Ausweitung des Welthandels bei. Außerdem wurde eine Solidargemeinschaft aller an dieser Weltwährungsordnung beteiligten Volkswirtschaften geschaffen. Es wurden Mechanismen bereitgestellt, um eine Volkswirtschaft, deren Außenwirtschaft ins Ungleichgewicht geraten war, wieder in die Balance zu bringen.

Die wichtigste Bestimmung des GATT ist wohl die Meistbegünstigungsklausel. Sie besagt, dass Zollzugeständnisse und andere Vergünstigungen, die zwei Handelspartner einander gewähren, auch den anderen Unterzeichnerstaaten des GATT zuzugestehen sind. So wird aus einer zweiseitigen Vereinbarung eine allgemeine Beseitigung von Handelsbeschränkungen.

Das Abkommen von Bretton Woods und das GATT waren zwei weltwirtschaftlich bedeutsame Ordnungsfaktoren, die tatsächlich zu einer nachhaltigen Liberalisierung der Außenwirtschaft und zu einem nie da gewesenen Aufschwung des Welthandels geführt haben.
Das System fester Wechselkurse wurde zwar 1971 durch flexible Wechselkurse abgelöst, aber die Solidargemeinschaft der Volkswirtschaften innerhalb der Weltwährungsordnung ist dennoch dauerhaft gestärkt worden.

Mit dem Abbau von Handelsbeschränkungen ging es dann so weiter:
Die Welthandelsordnung hat vor allem institutionelle Neuerungen erfahren. Es wurde eine neue Welthandelsorganisation WTO geschaffen, die auf drei Säulen beruht:
Die erste ist das GATT und in seiner erweiterten Form das MTA, das heißt "Multilateral Trade in Goods Agreement".
Die zweite Säule ist das GATS "General Agreement on Trade in Services" zur Liberalisierung von Dienstleistungen und öffentlichem Beschaffungswesen.
Und die dritte Säule ist das TRIPS, “Agreement on Trade-related Aspects of Intellectual Property". Hier geht es - kurz gesagt - um den internationalen Handel mit geistigem Eigentum.

Diese neuen Institutionen haben dann auch tatsächlich zum weiteren Abbau von Handelshemmnissen geführt, doch gemessen an den hochgesteckten Zielen der WTO sind die Fortschritte bei der Liberalisierung der Weltwirtschaft eher bescheiden und der Prozess kommt nur sehr zögerlich voran.
Außerdem sind die einzelnen Mitgliedstaaten sehr findig , wenn es darum geht, neue    - vor allem nicht-tarifäre - Handelsbeschränkungen einzuführen, zum Beispiel über technische Vorschriften.

Und die WTO kann dagegen recht wenig unternehmen, es gibt so gut wie keine Sanktionsmöglichkeiten. Deshalb ist der Prozess der Liberalisierung der Weltwirtschaft mühsam und vor allem das Ergebnis von Überzeugungsarbeit und gutem Willen der beteiligten Länder. Hinzu kommt, dass dieser Prozess ja auch noch auf Umwegen stattfindet.
Beispielsweise die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Fernziel eines vereinten Europas ist ein solcher Umweg, auch wenn die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft doch gerade mit dem erklärten Ziel der Liberalisierung des Außenhandels vorgenommen wurde.
In einem ersten Schritt haben die sechs Gründungsmitglieder Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande in den Römischen Verträgen vereinbart, beginnend ab 1958 eine Zollunion zu schaffen.
Die Binnenzölle wurden dann stufenweise angeglichen und abgebaut. Aber das ist       - genau genommen - ein fundamentaler Verstoß gegen die Bestimmung der Meistbegünstigung des GATT gewesen. Denn Drittländer, also Volkswirtschaften außerhalb der EWG, waren ja von der Zollunion ausgeschlossen.
Insbesondere mit den USA hat es deshalb teilweise heftige handelspolitische Auseinandersetzungen gegeben.

Die Gründung der EWG war nach den Bestimmungen der Welthandelsordnung zulässig und rechtmäßig, wenn man sie mit dem Argument begründet, dass sie der Liberalisierung des Welthandels langfristig Impulse verleiht. Dem Integrationsprozess des europäischen Wirtschaftsraumes, der mit der Gründung der EWG seinen Anfang nahm, wurde gewissermaßen eine Vorreiterrolle für die Liberalisierung des Welthandels zuerkannt.

Die EWG hat sich weiterentwickelt. Und der gesamte Integrationsprozess verzeichnet beachtliche Fortschritte sowohl nach innen als auch nach außen. Aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist inzwischen eine Europäische Union geworden mit inzwischen fünfzehn Mitgliedern, aus der Zollunion ist ein Binnenmarkt entstanden.
Mit der Einführung des EURO ist nun ein weiterer großer Schritt in Richtung Verwirklichung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vollzogen worden.
 
Verdient dieser Integrationsprozess denn nun wirklich das Prädikat "fortschrittlich" oder ist er doch nur ein Wort- und Traumgebilde?
Zweifellos ist nicht alles Gold was glänzt.
Aber man darf das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten.
Die Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungshandels innerhalb der Europäischen Union hat beträchtlich zur Erhöhung des Lebensstandards beigetragen. Deutschland bestreitet 55 - 60 Prozent seines Außenhandels mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das Warenangebot für die Verbraucher wird umfangreicher und vielfältiger. Und der Wettbewerb erhält zusätzliche Impulse, weil sich für viele Unternehmen der relevante Markt erweitert.

Und es gibt auch noch viele weitere positive Aspekte der Europäischen Union: Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weisen ein überdurchschnittlich hohes Maß an Verlässlichkeit auf. Arbeitnehmer genießen mehr Freizügigkeit und Unternehmer mehr Niederlassungsfreiheit. Das verbessert die Möglichkeiten der Arbeits- und Berufswahl. Vieles ist ja heute schon so selbstverständlich, dass wir es als einen durch den Integrationsprozess gewonnenen Vorzug gar nicht mehr wahrnehmen.

Trotzdem gibt es auch mehr als genug stichhaltige Argumente für eine kritische Auseinandersetzung mit der Europäischen Union. Ein grundlegender Kritikpunkt ist die Organisationsstruktur der Gemeinschaft.
Dabei geht es hauptsächlich um die Kompetenzen ihrer Institutionen. Das Europäische Parlament ist demokratisch legitimiert. Seine Mitglieder sind gewählte Repräsentanten. Sein Ansehen in der Öffentlichkeit und sein Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der Gemeinschaft ist vergleichsweise gering.

Formal ist der Ministerrat das höchste Entscheidungsgremium. Ihm gehören - je nach Tagesordnung - die Regierungschefs oder Fachminister an.
Viele dieser Entscheidungen werden aber in der EU-Kommission vorbereitet. Dort werden dann schon im Vorfeld die Weichen gestellt.
Die EU-Kommission hat also faktisch den größten Einfluss. Nur sind ihre Repräsentanten - die EU-Kommissare - keine gewählten Vertreter. Denn sie werden von jeweils einem der Mitgliedsstaaten vorgeschlagen. Die EU-Kommission ist politische und ausführende Behörde zugleich, die keiner hinreichenden demokratischen Kontrolle unterliegt.
Hinzu kommt, dass es vielen Entscheidungen an ausreichender Bürgernähe und damit an entsprechender Akzeptanz fehlt.
Je mehr Gemeinsamkeit in der Europäischen Union geschaffen wird, desto mehr Vielfalt oder Individualität muss aufgegeben werden. Und die Gegebenheiten vor Ort    - zum Beispiel in Finnland und Griechenland oder in Irland und Österreich - sind doch sehr unterschiedlich.
Der Entscheidungsprozess wird immer schwieriger und weitere Integrationsfortschritte erfordern ein immer höheres Maß an Zugeständnissen und Kompromissbereitschaft, insbesondere wenn die EU noch neue Mitgliedstaaten aufnimmt.
Nicht umsonst herrscht die weitverbreitete Befürchtung, dass der Integrationsprozess zum Erliegen kommt und die Gemeinschaft nicht mehr finanzierbar sein wird, wenn noch weitere Mitgliedstaaten aufgenommen werden.

Man kann das aber auch so betrachten:
Es geht ja nicht um eine Erweiterung um jeden Preis und man muss eben  akzeptieren, dass eine Weiterentwicklung der Europäischen Union und damit auch die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten nicht zum Nulltarif zu haben ist.
Keine Leistung ohne Gegenleistung.
Außerdem: Wenn die Europäische Union aufhört, eine offene Gemeinschaft zu sein, dann verliert sie auch ihren Anspruch, Motor zur Liberalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen zu sein.
Das würde einen Rückfall in die längst überwunden geglaubten Zeiten des Protektionismus bedeuten.

Man kann also davon ausgehen, dass es gar keine Alternative zum Integrationsprozess Europa gibt, was aber nicht als Prognose verstanden werden soll. Es soll damit vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass das in den zurückliegenden Jahrzehnten Erreichte - gemessen an den hohen Zielen des GATT und der EU - ja nur erste Schritte sind, hin zu einer wirklichen Liberalisierung der Weltwirtschaft. Die eigentlichen Herausforderungen stehen uns ja noch bevor, so  beispielsweise eine stärkere Einbindung der Entwicklungsländer.

Die Zukunft ist spannend und ungewiss. Da gäbe es noch viel dazu zu sagen.  
Führen wir uns zum Abschluss doch mal vor Augen:
Adam Smith und David Ricardo - die Mitbegründer der modernen Nationalökonomie - haben im 18. bzw. 19. Jahrhundert großartige Ideen zur Ökonomie der Weltwirtschaft entwickelt. Seitdem sind mehr als zweihundert Jahre vergangen.  
Von ihren Theorien konnte aber bislang nur ein Bruchteil in die Praxis umgesetzt werden. Man kann hier also sehen, dass ökonomischer Fortschritt kein Rennpferd ist. Aber eins ist ganz klar: unabhängig vom Tempo bleibt das Ziel volkswirtschaftlicher Bestrebungen unverändert der sparsame Umgang mit knappen Mitteln.

         
Quelle:
Grundlagen VWL
Prof. Dr. Mammen
FH Ansbach