Globalisierung

Globalisierung: Fluch oder Segen?


Hierzu ein Beitrag des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)

Das DIW hat in einer Studie fuer das niederlaendische Arbeits- und Sozialministerium die Frage untersucht, ob die Globalisierung tatsaechlich die ihr zugeschriebenen negativen Wirkungen in den westlichen Industrielaendern hat und ob ihr die Wirtschaftspolitik ohnmaechtig ausgeliefert ist [1]. Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen.
Originalquelle: http://www.diw.de/deutsch/produkte/publikationen/wochenberichte/docs/97-23-1.html

Begriff
Der Begriff "Globalisierung" wird in Westeuropa mehr und mehr zum Schluesselbegriff fuer dramatische Veraenderungen im Sozialstaatsgefuege. Globalisierung steht dabei fuer eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung ueber Handels-, Kapital- und Technologiestroeme, aber auch fuer zunehmende Konkurrenz aus Niedriglohnlaendern sowie fuer die Auslagerung von Arbeitsplaetzen ueber Direktinvestitionen. Globalisierung wird zuweilen auch als Ursache fuer steigende Arbeitslosigkeit und deshalb als Bedrohung fuer Demokratie und Wohlstand der westlichen Laender verstanden. Viele sehen in ihr den Beginn eines Wettrennens nach unten, in dessen Verlauf die Realloehne auf das Niveau von Schwellen- oder gar Entwicklungslaendern sinken muessten, wenn man erfolgreich auf den Weltmaerkten konkurrieren wolle.

Das Tempo der Globalisierung
In der oeffentlichen Diskussion ist der Eindruck verbreitet, als haette sich das Tempo der Globalisierung in den letzten Jahren stark verschaerft. Fuer die Handelsstroeme laesst sich dies nicht feststellen. So hat sich der Offenheitsgrad [2] der deutschen Volkswirtschaft nur langsam und relativ kontinuierlich erhoeht. Zwar hat der Wert dieses Indikators fuer das verarbeitende Gewerbe stark zugenommen. Das hohe Wachstum des Dienstleistungssektors, dessen Offenheitsgrad beinahe konstant geblieben ist, hat diesen Trend aber fast neutralisiert. Fuer die meisten anderen Industrielaender ergibt sich ein aehnliches Bild. Auch aus den Arbeitskraeftebewegungen laesst sich keine Erhoehung des Globalisierungstempos ablesen. Zwar verzeichneten die meisten Industrielaender von 1970 bis 1994 per saldo Zuwanderungen. Diese waren jedoch mit Ausnahme Schwedens und Deutschlands nahezu konstant, und bezogen auf die Gesamtbevoelkerung sind sie gering [3].
Ein anderes Bild ergibt sich bei den Kapitalstroemen. In den achtziger Jahren kam es zu einem starken Anstieg der Direkt- und Portfolioinvestitionen [4]. Fuer die erste Haelfte der neunziger Jahre laesst sich fuer Japan und das Vereinigte Koenigreich zwar ein leichter Rueckgang feststellen, dennoch ist an den Kapitalstroemen die Intensivierung der weltwirtschaftlichen Verflechtung am deutlichsten zu erkennen. Alles in allem kann man - trotz der Oeffnung Osteuropas - nicht pauschal davon sprechen, dass es in den letzten Jahren einen Globalisierungsschub gegeben haette. Die Globalisierung ist vielmehr ein langsamer und relativ stetiger Prozess, der gleichwohl permanenten Strukturwandel erfordert. Wenn dennoch in manchen Laendern oder Branchen der Eindruck entsteht, dass sich der Anpassungsdruck stark erhoeht hat, dann ist dies zum einen Folge der jahrelangen Abschottung dieser Branchen gegenueber den weltwirtschaftlichen Erfordernissen und zum anderen Ergebnis der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation.

Globalisierung und das Niveau der Arbeitslosigkeit

Ein direkter Zusammenhang zwischen der Globalisierung und dem Niveau der Arbeitslosigkeit in den Industrielaendern laesst sich nicht nachweisen. Dazu fehlt es bereits an ueberzeugenden theoretischen Begruendungen. Die neoklassische Aussenhandelstheorie verweist zwar auf das Faktorpreisausgleichstheorem, welches besagt, dass sich die Entlohnung der Produktionsfaktoren international angleicht. Im Rahmen der Globalisierungsdebatte wird mit dieser Ueberlegung teilweise suggeriert, eine der Ursachen fuer das Entstehen der Arbeitslosigkeit in den Industrielaendern sei die Tatsache, dass die Loehne dort wesentlich hoeher sind als in Schwellen- oder Entwicklungslaendern. Notwendig seien daher eine allgemeine Lohnsenkung und Wohlstandseinbussen in den westlichen Industrielaendern, da diese nur so wettbewerbsfaehig bleiben und Arbeitslosigkeit vermeiden koennten [5].
Vieles spricht aber dafuer, dass sich international divergierende Loehne ueber einen laengeren Zeitraum aufrecht erhalten lassen, ohne dass es aus diesem Grund zu Arbeitslosigkeit kommen muss. Die theoretische Begruendung liefert der auf Ricardos Ideen beruhende Neotechnologieansatz. Er erklaert die Unterschiede im Lohnniveau zwischen den Laendern durch Unterschiede in der Generierung und Anwendung von Technologie. Das Lohnniveau eines Landes ist um so hoeher, je staerker dieses in der Lage ist, oekonomisch verwertbares Wissen zu produzieren bzw. aus externen Quellen zu absorbieren und es effizient fuer Produkt- und Prozessinnovationen einzusetzen [6]. Die neoklassische Aussenhandelstheorie abstrahiert von solchen Technologieunterschieden und kommt daher beinahe zwangslaeufig zu dem Schluss, dass sich die Loehne international angleichen muessen. Bei der Argumentation, dass die Industrielaender ihre Loehne reduzieren muessen, um konkurrenzfaehig zu bleiben, wird aber auch die Dynamik des weltwirtschaftlichen Wettbewerbs verkannt. Dieser fuehrt zwar dazu, dass Unternehmen aus Laendern mit hohen Loehnen arbeitsintensive und technologisch wenig anspruchsvolle Teile ihrer Produktion an die Niedriglohnlaender verlieren. Gleichzeitig gewinnen die Hochlohnlaender aber neue Maerkte bei humankapitalintensiven und technologisch anspruchsvollen Produkten hinzu. Fuer die traditionellen Hochlohnlaender bedeutet der Aufholprozess der Schwellenlaender dennoch tendenziell, dass sie sowohl insgesamt als auch in bestimmten Branchen Marktanteile verlieren. Dieser Verlust an Marktanteilen kann wegen des insgesamt steigenden Volumens des Welthandels ohne weiteres mit hohen absoluten Zuwaechsen beim Export der Industrielaender einhergehen. Das Aufholen der Schwellenlaender bedeutet folglich keineswegs, dass vom Aussenhandel negative Einfluesse auf die wirtschaftliche Entwicklung der Industrielaender ausgehen. Fuer ein technologisch hochentwickeltes Land ist es keineswegs sinnvoll, seinen Platz an der Spitze der Lohnskala zu raeumen und zu versuchen, durch Lohnsenkung den Wettbewerbsdruck der aufholenden Laender zu vermindern. Man verloere mit einer solchen defensiven Reaktion die Moeglichkeit, temporaere Monopolgewinne aus innovativen Produkten und Produktionsverfahren zu erzielen, die vorwiegend bei technologisch anspruchsvollen Produkten anfallen. Dann kaeme es frueher oder spaeter zu sinkender Produktivitaet und sinkenden Loehnen. Dadurch wuerde der Wettbewerbsdruck aber nicht vermindert, da auch die anderen Plaetze in der Lohnhierarchie besetzt sind. Ein Land konkurrierte dann mit einem niedrigeren Lohnniveau auf anderen Produktmaerkten, der Wettbewerb waere aber nicht weniger scharf [7]. Neben diesen theoretischen Ueberlegungen spricht aber auch der empirische Befund gegen einen Zusammenhang zwischen der Globalisierung und dem Niveau der Arbeitslosigkeit in den Industrielaendern: - Die USA konnten von 1982 bis 1995, als die Globalisierung nach verbreiteter Ansicht ihre Kraefte am staerksten entfaltete, die Arbeitslosenquote von knapp 10 auf knapp 6 vH reduzieren. Im gesamten Zeitraum von 1960 bis 1995 unterlag die Arbeitslosenquote in den USA relativ starken zyklischen Schwankungen. Auch der kurzzeitige Anstieg zu Anfang der neunziger Jahre war eindeutig auf das Abflauen der Konjunktur zurueckzufuehren. - Deutschland, Schweden, dem Vereinigten Koenigreich, Belgien und den Niederlanden gelang in der zweiten Haelfte der achziger Jahre eine z.T. erhebliche Reduzierung ihrer Arbeitslosigkeit. In Westdeutschland lag die nach dem Verfahren der OECD standardisierte Arbeitslosenquote bis Anfang der neunziger Jahre sogar fast immer unter der der USA. Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit Anfang der achtziger und Anfang der neunziger Jahre (in Westdeutschland ab 1993) war auch hier rezessionsbedingt. Ein "Globalisierungsschub", der eine alternative Erklaerung des Anstiegs der Arbeitslosigkeit boete, ist fuer Europa ebenso wie fuer den Rest der Welt nicht auszumachen. - Japan konnte sogar die zyklischen Schwankungen der Arbeitslosigkeit ausgesprochen gering halten. Hier ist allerdings von Mitte der siebziger bis Ende der achtziger Jahre eine beinahe stetige Erhoehung der Arbeitslosigkeit zu konstatieren - allerdings auf relativ niedrigem Niveau. Sie ging von 1988 bis 1991 leicht zurueck und stieg erst 1994 und 1995 wieder auf rund 3 vH. Die Vertiefung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen bietet also weder in theoretischer noch in empirischer Hinsicht eine zufriedenstellende Erklaerung fuer die Entstehung und die Persistenz von Arbeitslosigkeit. Ein Zusammenhang zwischen Globalisierung und Arbeitslosigkeit wird oftmals partialanalytisch begruendet. So wird argumentiert, ein Aussenhandelsueberschuss sei gleichbedeutend mit der Schaffung oder dem Erhalt von Arbeitsplaetzen; ein Defizit bei den Direktinvestitionen wird mit einem Export von Arbeitsplaetzen gleichgesetzt. Beide Aussagen scheinen zwar isoliert betrachtet plausibel, sie vernachlaessigen aber die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhaenge. Wenn ein Land Ueberschuesse im Warenhandel erzielen will, muss es vom Ausland entweder Dienstleistungen importieren, z.B. in Form von Tourismus, oder ihm Kapital zur Verfuegung stellen, z.B. in Form von Portfolio- oder Direktinvestitionen. Durch den Dienstleistungsimport oder Kapitalexport "verliert" ein Land jedoch wieder Arbeitsplaetze an das Ausland. Es ist daher nicht sinnvoll, von einzelnen Salden der Zahlungsbilanz auf gesamtwirtschaftliche Arbeitsplatzgewinne oder -verluste zu schliessen. Dies zeigt sich auch an den Beispielen USA und Japan. In den Vereinigten Staaten geht das "Beschaeftigungswunder" Hand in Hand mit einem hohen Aussenhandelsdefizit, und in Japan bleibt die Arbeitslosenquote trotz hoher Defizite bei den auslaendischen Direktinvestitionen relativ stabil.

Globalisierung und technischer Fortschritt verringern die Nachfrage nach gering Qualifizierten

Kann Globalisierung, wenn nicht das Niveau, so doch die Struktur von Beschaeftigung und Arbeitslosigkeit sowie die Einkommensverteilung beeinflussen? Kommt sie insbesondere als Verursacherin der sich vergroessernden Einkommensungleichheit innerhalb eines Landes und der Verschlechterung der Beschaeftigungschancen der gering Qualifizierten in Betracht? Nach der neoklassische Theorie des internationalen Handels fuehrt eine Zunahme des Aussenhandels mit den Schwellen- und Entwicklungslaendern zu einer Verringerung der Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskraeften in den Industrielaendern und zu einer Zunahme der Nachfrage nach Hochqualifizierten. Infolge dieses Effektes muesste die Entlohnung der gering qualifizierten relativ zu der der hoch qualifizierten Arbeitskraefte sinken.
Verstaerkt wird der Druck auf die gering qualifizierten Arbeitskraefte durch von Nord nach Sued bzw. neuerdings von West nach Ost fliessende Direktinvestitionen. Diese werden entweder getaetigt, um die Exportprodukte der Industrielaender besser vermarkten zu koennen oder um Faktorkostenvorteile, insbesondere die in Sued und Ost niedrigen Loehne ungelernter bzw. gering qualifizierter Arbeitskraefte, besser ausnutzen zu koennen. Da eine Steigerung der Exporte des Nordens nur durch den vermehrten Einsatz von hochwertiger Arbeit moeglich ist, erhoeht dies die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskraeften. Eine Erhoehung der Importe aus dem Sueden aufgrund der Auslagerung von relativ arbeitsintensiven Produktionsprozessen fuehrt zu einem Rueckgang der Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskraeften. Direktinvestitionen reduzieren also tendenziell die Nachfrage nach ungelernten relativ zu qualifizierten Arbeitskraeften im Norden. Dies verstaerkt einerseits den vom internationalen Handel ausgehenden Druck auf die Loehne bzw. die Beschaeftigungschancen ungelernter, verbessert aber andererseits die Einkommens- bzw. Beschaeftigungsmoeglichkeiten qualifizierter Arbeitskraefte. Technischer Fortschritt und Globalisierung stehen in einem engen Zusammenhang. Einerseits zwingt der erhoehte Konkurrenzdruck auf globalen Maerkten die Unternehmen zu einer beschleunigten Anwendung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zum anderen schafft der technische Fortschritt, z.B. durch leistungsfaehigere Kommunikationsnetze, erst die Voraussetzungen fuer eine weitere Globalisierung der Maerkte. Der technische Fortschritt hat aber wohl die Nachfrage nach geringer qualifizierten Arbeitskraeften vermindert. Dafuer sprechen mehrere Gruende: Zum einen sind ungelernte Arbeitskraefte leichter durch Maschinen zu ersetzen als qualifizierte. Zum zweiten erfordern die Konstruktion und der Bau solcher Maschinen mehr qualifizierte Arbeitskraefte. Zum dritten passen sich qualifizierte Arbeitskraefte besser den sich wandelnden technischen Arbeitsbedingungen an. Alles in allem hat der technische Fortschritt tendenziell dieselbe Wirkung auf die Nachfrage bzw. Entlohnung von gering qualifizierten Arbeitskraeften wie Aussenhandel und Direktinvestitionen. Allerdings wirken nicht nur diese Faktoren auf die Nachfrage nach Arbeitskraeften in den Industrie- und Entwicklungslaendern. Neben der internationalen Arbeitsteilung wird der Strukturwandel in allen Laendern auch von Veraenderungen der Nachfragestruktur gepraegt, z.B. der zunehmenden Nachfrage nach Dienstleistungen. Die internationale Arbeitsteilung fuer sich genommen reduziert zwar die Nachfrage nach weniger gut ausgebildeten Arbeitskraeften in den Industrielaendern, gleichzeitig entstehen aber aufgrund der vermehrten Nachfrage nach Dienstleistungen neben Arbeitsplaetzen fuer Hochqualifizierte auch zusaetzliche Arbeitsplaetze fuer gering Qualifizierte. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors kann somit den Rueckgang der Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskraeften zum Teil kompensieren.

Zuwanderungen erhoehen das Angebot an gering qualifizierten Arbeitskraeften

Arbeitskraeftewanderungen veraendern das Niveau und die Struktur des Arbeitsangebots. Durch Zuwanderung in die wirtschaftlich hochentwickelten Laender steigt dort das Angebot an gering qualifizierten relativ zu qualifizierten Arbeitskraeften und verursacht einen entsprechenden Druck auf die Loehne. Dies ist zum Beispiel in den USA seit Anfang der siebziger Jahre der Fall [8]. Auch fuer Westeuropa gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Zuwanderer eher mit den gering als mit den hoch qualifizierten Arbeitnehmern konkurrieren [9]. Dies duerfte auch fuer illegal Zuwandernde gelten. Sie finden vor allem in der Land-, Forst- oder Bauwirtschaft und in bestimmten Bereichen des Dienstleistungsbereichs Arbeit. Auch von den illegal Zuwandernden geht somit vor allem Druck auf die Loehne der gering qualifizierten Arbeitnehmer aus.

Der empirische Befund zu Einkommensverteilung und Struktur der Arbeitslosigkeit

Auf den ersten Blick entspricht der empirische Befund den theoretischen Ueberlegungen: Insgesamt gesehen ist die Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskraeften in den westlichen Industrielaendern in den letzten Jahren stark, zum Teil dramatisch, zurueckgegangen [10]. Dies hat einmal dazu gefuehrt, dass in vielen Industrielaendern die Arbeitslosenquoten bei gering qualifizierten Arbeitskraeften um ein Vielfaches ueber denen der qualifizierten lagen. Zum anderen sind in einigen Laendern auch die Einkommen der gering qualifizierten Arbeitskraefte im Vergleich zu denen der qualifizierten gesunken. Insbesondere fuer die USA und das Vereinigte Koenigreich laesst sich fuer den Zeitraum von 1979 bis 1995 eine erhebliche Vergroesserung der Einkommensungleichheit konstatieren (Schaubild 3). Beide Laender haben 1995 ein weit ueber dem der anderen Laender liegendes Mass an Einkommensungleichheit erreicht. Eine leichte Erhoehung der Einkommensungleichheit laesst sich fuer Japan und die Niederlande beobachten, waehrend sie in Daenemark und - trotz einiger Schwankungen - auch in Schweden konstant geblieben ist. Deutschland und Belgien sind die einzigen Laender, in denen die Verteilung der Bruttoeinkommen - geringfuegig - gleicher geworden ist.
Allerdings hat die starke Einkommensspreizung in den davon betroffenen Laendern keineswegs dafuer gesorgt, dass die Arbeitslosigkeit bei den gering qualifizierten Arbeitskraeften besonders niedrig liegt. Das Gegenteil ist der Fall: In den USA und dem Vereinigten Koenigreich waren 1992 rund 13 vH der gering Qualifizierten arbeitslos, waehrend es in den Niederlanden und in Deutschland nur 8 bzw. 9 vH und in Schweden gar nur 5 vH waren. Das in der Globalisierungsdebatte haeufig gebrauchte Argument, eine staerkere Lohnspreizung wuerde die Beschaeftigungsprobleme der gering qualifizierten Arbeitskraefte loesen, erweist sich in dieser einfachen Form als wenig tragfaehig. Die Tatsache, dass die kontinentaleuropaeischen Laender nachfrageseitig aehnlichen weltwirtschaftlichen und binnenwirtschaftlichen Anpassungszwaengen ausgesetzt waren, diese aber im Vergleich zu den USA und Grossbritannien weder zu einer hoeheren Arbeitslosigkeit bei den gering Qualifizierten noch zu einer staerkeren Lohnspreizung gefuehrt haben, lassen nur den Schluss zu, dass es in Kontinentaleuropa angebotsseitige Einflussfaktoren gegeben hat, die den Nachfragerueckgang nach gering Qualifizierten kompensiert haben.

Die Rolle von Aus- und Weiterbildung

Auf lange Sicht ist die Reduzierung des Angebots an gering Qualifizierten durch Bildung und Ausbildung die am meisten erfolgversprechende Strategie, der gesunkenen Nachfrage nach gering Qualifizierten zu begegnen. Aus der Zunahme des Angebots an qualifizierten Kraeften ergibt sich am Markt eine geringere Ungleichheit in der Einkommensverteilung.
Bei Aus- und Weiterbildung geht es zum einen darum, dass neu in den Arbeitsmarkt eintretende Arbeitskraefte eine Erstausbildung bekommen, die sie befaehigt, den gestiegenen Qualifikationsanforderungen Rechnung zu tragen. Hier haben insbesondere diejenigen Laender, die ueber ein gut funktionierendes System der beruflichen Bildung verfuegen, die besten institutionellen Voraussetzungen. Dieses sorgt dafuer, dass es insgesamt nur relativ wenige ungelernte Arbeitskraefte gibt. Nach Angaben von Eurostat waren 1993 im Vereinigten Koenigreich 43 vH der Arbeitskraefte gering qualifiziert. In den Niederlanden waren es hingegen nur 16 vH, in Daenemark und in Deutschland gar nur 13 vH. Des weiteren muss in der Schule die Faehigkeit zum lebenslangen Lernen vermittelt werden; sie muss zentrale Komponente der Schulbildung sein [11]. Niemand kann kuenftig noch erwarten, dass er seinen Beruf in der urspruenglich erlernten Art sein ganzes Leben lang ausueben kann. Lebenslanges Lernen der Arbeitnehmer ist folglich die zweite Komponente einer Strategie zur Reduzierung des Angebots an gering qualifizierten Arbeitskraeften. Sie soll erreichen, dass sich Arbeitnehmer waehrend ihres gesamten Berufslebens an die sich aendernden Qualifikationserfordernisse anpassen koennen. Staatlich gefoerderte Umschulungs- und Weiterbildungsmassnahmen waehrend der Arbeitslosigkeit sind ein Element dieser Strategie. Betriebliche Weiterbildung ist ein anderes. Wenn es gelingt, die Faehigkeiten und Kenntnisse der gering qualifizierten Arbeitskraefte an die steigenden Anforderungen der Arbeitswelt anzupassen und damit deren Produktivitaet entsprechend zu erhoehen, kann die Entstehung einer grossen Zahl von arbeitenden Armen verhindert werden.

Fazit

Da Technologie und Innovationen nur von hochqualifizierten Menschen hervorgebracht werden, ist eine offensive Bildungs- und FuE-Politik noetig, um die Vorteile der Globalisierung langfristig zu sichern und in eine Steigerung der Realeinkommen umzuwandeln. Die Industrielaender koennen ihr hohes Lohnniveau nur aufrecht erhalten und weiter steigern, wenn sie ihre technologische Leistungsfaehigkeit und ihren Bestand an Humankapital erhoehen. Eine Kuerzung der staatlichen Ausgaben im Forschungs- und Bildungsbereich, die im wesentlichen Investitionen in die technologische Leistungsfaehigkeit und in das Humankapital sind, ist daher die falsche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil ein Teil des hohen Realeinkommens in den Industrielaendern auf Innovationsrenten zurueckzufuehren ist, die verloren gehen, wenn sich das Innovationstempo im Vergleich zu den aufholenden Laendern verlangsamt.
Die Globalisierung bringt gesamtwirtschaftlich grosse Chancen mit sich, fuer gering qualifizierte Arbeitskraefte birgt sie aber auch Risiken. Diese sind jedoch beherrschbar, insbesondere durch eine entsprechende Bildungspolitik. Natuerlich erfordert die Globalisierung Mobilitaet und Flexibilitaet des Einzelnen. Defensive Reaktionen sind unangemessen; sie fuehren zum oft befuerchteten Wettrennen nach unten. Laender, die die Chancen der Globalisierung durch eine Erhoehung ihrer Bildungs- und FuE- Anstrengungen nutzen, beteiligen sich an einem anderen Wettrennen, dem Wettrennen nach oben.

[1] Fritz Franzmeyer, Ludger Lindlar und Harald Trabold: Employment and Social Policies under International Constraints, Den Haag, 1996.

[2] Der Offenheitsgrad einer Volkswirtschaft ergibt sich als Summe aus dem Anteil der Exporte am Bruttoproduktionswert und dem Anteil der Importe an der gesamten inlaendischen Nachfrage dividiert durch zwei.

[3] Vgl. dazu auch Fritz Franzmeyer, Ludger Lindlar und Harald Trabold a.a.O., Kapitel 3.

[4] Der sehr hohe Wert fuer Belgien-Luxemburg ist im wesentlichen Ausdruck von Portfolioinvestitionen aus steuerlichen Gruenden.

[5] Zur Problematik der Verwendung des Begriffs Wettbewerbsfaehigkeit in bezug auf Volkswirtschaften vgl. Harald Trabold: Die internationale Wettbewerbsfaehigkeit einer Volkswirtschaft. In: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 2/1995, S. 169-185.

[6] Vgl. dazu auch Dieter Schumacher, Heike Belitz, Alfred Haid, Kurt Hornschild, Hans J. Petersen, Florian Strassberger, Harald Trabold unter Mitarbeit von Marian Beise: Technologische Wettbewerbsfaehigkeit der Bundesrepublik Deutschland - Theoretische und empirische Aspekte einer international vergleichenden Analyse. Beitraege zur Strukturforschung, Heft 155, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1995.

[7] Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Herbst 1996. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 43-44/96, S. 702 und 706 f.

 

Globalisierung Ein Artikel in der ZEIT:

[8] Vgl. George Borjas: The Economics of Immigration, in: Journal of Economic Literature, Bd. 31, S. 1667-1717, 1994.

[9] Vgl. fuer Deutschland: John Haisken-DeNew: Migration and the Inter- industry Wage Structure in Germany, Berlin/Heidelberg, 1996.

[10] Vgl. dazu Stephen Nickell und Brian Bell: The Collapse in Demand for the Unskilled and Unemployment Across the OECD, in: Oxford Review of Economic Policy, Bd. 11, Heft 1, S. 40-61, 1995.

[11] Vgl. OECD: Lifelong Learning for All, Paris, 1996.